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Augenentspannung. Unsere Tipps und Tricks für besseres Sehen.
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Das war mir völlig unverständlich, damals in der Grundschule, zweite Klasse: meine Pultnachbarin behauptete, die Blume vor ihr sei orangefarben, wo sie für mich doch eindeutig rot war. Ich weiss nicht, wer von uns beiden recht hatte, aber leise Zweifel beschleichen mich noch heute beim Betrachten einer Rose: rot oder orange. Oder doch eher…?
Wir haben leider eine beschränkte Begabung, Farben zu erfassen. Ich kann also die Farbe Rot nicht wörtlich beschreiben, ich kann nur auf andere Dinge zeigen, die – für mich jedenfalls – ebenfalls rot sind: Rotwein etwa oder Rotkraut.
Dabei ist uns Farbigkeit überaus wichtig, alles soll bitte farbenfroh und poppig sein, leuchten soll es. Blumige Werbesprüche und grelle Werbeplakate umgeben uns, wir benutzen viele bunte Adjektive und farbige Sprachbilder und können damit rotsehen oder schwarzmalen oder blaumachen. Lieber bunter Hund oder graue Maus?
Auch handfeste Argumente aus der Verhaltensforschung unterstreichen die Wichtigkeit der Fähigkeit, Farben sehen und empfinden zu können: wenn’s um das Bestehen in der Natur geht, ist das Farbensehen kein Luxus der Sinne, sondern ein Überlebensmechanismus, der vor allem bei der Suche nach Nahrung hilft. Menschen und andere Primaten haben diese Gabe entwickelt, weil unsere Vorfahren beobachten mussten, wie essbare Pflanzen heranreiften und vor welchen Pflanzen und Tieren sie sich hüten mussten.
Wenn alles normal ist, besitzt der «trichromatische» Mensch – und sein nächster Verwandter, der Affe – drei Farbrezeptoren in der Netzhaut des Auges. Damit kann er blaue, grüne und rote Lichtsignale auseinanderhalten und über zwei Millionen Farbtöne wahrnehmen. Ganz schön bunt also.
Alle anderen Säugetiere – also auch alle unsere Haustiere – verfügen als «Dichromaten» nur über zwei Farbsinneszellen: sie können nur Blau und Gelb unterscheiden. Und diese Farbsehschwäche gibt es auch bei etwa neun Prozent der Männer und bei weniger als einem Prozent der Frauen: sie können mindestens eine der drei Farbkomponenten nicht wahrnehmen, meist ist die Rot-Grün-Empfindung gestört.
Die Störung kann aber sogar bis zur totalen Farbenblindheit gehen, Betroffene sehen dann lediglich Schwarz, Weiss und Graustufen.
Eine Farbsehschwäche ist fast immer eine genetische und angeborene Anomalie der Netzhaut, sie ist nicht heilbar und kaum zu korrigieren. Brillen oder Kontaktlinsen mit bestimmten Farbfiltern können das Farbensehen eventuell verbessern und getönte Brillengläser eine mögliche Lichtempfindlichkeit lindern, aber allzu viel dürfen sich Betroffene nicht erhoffen.
Allerdings lässt sich mit einer Farbenfehlsichtigkeit eigentlich ganz gut leben, oft fällt sie einer betroffenen Person gar nicht auf, da sie ja eigentlich nicht wissen kann, wie dreifarbiges Sehen geht. Erst ein Blick auf eine Ishihara-Farbtafel kann dann eine Farbfehlsichtigkeit zu Tage fördern.
Natürlich kann es vorkommen, dass Fehlsichtige vor einer freien Toilettenkabine stehen und denken, die kleine Scheibe zeige auf Rot. Und auch einen freien Parkplatz im Parkhaus mit LED-Anzeige finden sie nicht ohne weiteres, weil sie nicht erkennen können, ob das Lämpchen nun rot oder grün leuchtet. Aber alles halb so schlimm.
Und immerhin: heutzutage müssen wir Früchte und Beeren ja nicht mehr über deren Farbe nach essbar oder giftig unterscheiden.